21. April 2010

Filmklischees: Wer hustet, stirbt!

Das Kino ist ein Ort der bestellten Lügen. Nirgendwo anders finden sich so viele Menschen aus nur einem Grund zusammen - um betrogen zu werden. Werden sie es nicht, dann sind sie enttäuscht oder zumindest verwirrt. Sollten zum Beispiel Raumschiffe in einem Science-Fiction-Film nicht in einem krachenden Feuerball explodieren, fehlt ihnen etwas - obwohl das im Vakuum des Weltalls eher nicht vorkommen wird. Lichtschwerter müssen immer "Bzzzz" machen, jedem Schalldämpfer in einem Hollywood-Film entfährt dasselbe, unrealistische "Plopp". Faustschläge müssen spätestens seit Bud Spencer immer so klingen, als sei gerade jemand mit einem Knäckebrot im Mund ungebremst gegen eine Wand gelaufen. Und an allen Bomben muss natürlich eine rote Digitalanzeige angebracht sein, die millisekundengenau angibt, wie viel Zeit der Held hat, sie zu entschärfen auch wenn die Sekunden im Film dann zehn Minuten dauern.

Das alles ist gelernt, es wurde uns - dem Publikum - antrainiert. Mehr als hundert Jahre Filmgeschichte haben unzählige Klischees hervorgebracht. Es genügen bereits Kleinigkeiten: Wer im Film hustet, wird bald darauf sterben. Bei Katastrophenfilmen wird immer das linke Triebwerk eines Flugzeugs zuerst brennen und kommt einmal ein Tier ins Bild, wird es immer seinen typischen Laut ausstossen: Mäuse und Ratten fiepen, Katzen miauen und nie wird der Geier beim Western stumm bleiben. Ebenso ausgeschlossen dass ein Radiowecker den Helden in der Mitte eines beliebigen Songs weckt, sondern immer dann wenn der Moderator gerade "Guten Morgen, das wird ein wundervoller Tag in L.A.!" ruft.

Das alles muss so sein in einem Blockbuster. Weil es das Millionenpublikum angeblich sonerwartet. Deswegen müssen Teenager sterben, die sich in einem Horrorfilm alleine auf den Dachboden wagen, genau so wie jeder Polizist dem Tode geweiht ist, der nur noch eine Woche bis zur Rente hat. Und es geht gleich weiter mit Klischees: Hat James Bond einen nackten Oberkörper, wird er nie von einer Kugel getroffen werden, auf Toilette muss so ein Held auch niemals und keine seiner Filmpartnerinnen wird je mit verwuselten Haaren aufwachen. Stars müssen zu jedem Zeitpunkt Stars bleiben und nahezu unverwundbar sein. Und auch ihre Gegner müssen immer wieder dieselben Fehler machen. Das Filmklischee zwingt sie regelmässig dazu, dem Helden in einem Moment der Siegesgewissheit ihren genauen Plan zur Weltherrschaft zu verraten. Auch die Autos der Bösen müssen immer wieder dem Klischee zum Opfer fallen: Während der Wagen des Helden sich fünfmal überschlagen kann und immer noch nicht reif für den Schrottplatz wäre, ist der Wagen des Schurken der Explosion schon nahe, wenn den Motor nur anlässt. Und die goldenste aller Regeln: Sind die Gegner in der Übermacht und der Held ganz auf sich allein gestellt, dann dürfen sie ihn nur einer nach dem anderen angreifen: jeder nur einen Schlag bitte und das Knäckebrot-Geräusch nicht vergessen.

Das alles ist gut so für die Figuren in den Filmen und für die Zuschauer. Denn erst Klischees, die so stark sind, dass das Publikum sie für selbstverständlich erachtet, lassen die Helden so übermächtig erscheinen. Denn Klischees machen den Helden so viele Dinge kinderleicht: Sie laden den Heldenrevolver mit hundert Patronen auf, die ohne nachzuladen verballert werden dürfen. Sie sorgen dafür, dass die Kleidung jedes Wachmanns, den der Held gerade niedergeschlagen hat, ihm wie angegossen passt und er in stimmiger Verkleidung unerkannt das Geheimlabor des Obergauners infiltrieren kann. Klischees sind des Helden Freund und Helfer - denn nur dank ihrer Hilfe kann man erst aus einem Hubschrauber ins Meer springen, nur mit einer Haarklammer bewaffnet gegen Elitesoldaten kämpfen und dann immer noch so aussehen, als sei man auf dem Weg zur eigenen Hochzeit.

Eine Wohltat sind die Schablonen, nach denen Hollywood-Streifen funktionieren, nicht nur für das Publikum, sondern auch für Regisseure und Drehbuchschreiber. Die Zuschauer wissen, was sie erwartet und auf was sie sich einlassen und die Filmemacher nutzen die Erwartungen als Werkzeuge, um im Publikum punktgenau bestimmte Gefühle auszulösen: Spannung, Mitleid, Heiterkeit, Trauer, Herzrasen, Angst. Und längst funktionieren Klischees nicht mehr nur allein über den Inhalt. Die Zuschauer haben in all den Jahren Filmgeschichte sogar Kameraeinstellungen zu deuten gelernt. Niemand muss einem Kinogänger sagen, dass gleich irgendetwas Unerwartetes passieren wird, wenn die Kamera dem Helden nah von hinten folgt. Solche Sequenzen geben dem Publikum etwas zum Entschlüsseln und gleichzeitig - Grusel hin, Gefahr her - die Sicherheit, dass dem Helden nichts passieren kann und ihnen selbst auch nicht.

Vielleicht ist dieser Aspekt der Geborgenheit wichtiger, als man bei der Aufgeklärtheit des modernen Publikums denken könnte. Denn eines wird sich genau so wenig ändern wie die Tatsache, dass jeder Oberschurke noch einmal aufstehen wird, wenn der Held ihn für besiegt hält: Ein Kino wird immer ein dunkler Raum bleiben, angefüllt mit einander völlig fremden Menschen. Und sagt das Klischee nicht, dass an solchen Orten das Unheil lauert?

Quellen: SpOn/Imdb

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