14. Juni 2010

Reichsparteitage, Bomber und Arbeit die frei macht...

Also zuerst einmal muss ich sagen, dass ich den Deutschen den gestrigen 4 zu 0-Sieg gegen Australien von Herzen gönne, das war eine tolle Leistung - die bislang stärkste dieser WM. Vorallem haben mir die vielen jungen Spieler gefallen, die der Jogi Löw mit nach Südafrika mitgenommen hat. Da liegt so einiges drin in diesem Turnier für das DFB-Team, ich bin gespannt. Womit ich dann auch gleich eine kurze Zwischenbilanz vom ersten Wochenende ziehen möchte: Frankreich holt sich den ersten Punkt, kann aber nicht darüber hinweg täuschen dass man interne Probleme hat. Argentinien hat - trotz Maradona auf der Bank - gut gespielt und darf eben so wie die Südkoreaner die ersten 3 Punkte verbuchen. Gefreut hat mich der Sieg von Ghana, überhaupt hoff ich dass sich ein paar afrikanische Mannschaften für die nächste Runde qualifizieren. Überraschend sicher der Verlustpunkt der Engländer, gibts mal wieder ein Debakel an einem grossen Turnier? Slowenien hat der Schweiz gezeigt, dass auch kleine Länder punkten können, schade dass sie das gerade gegen Algerien machen mussten. Fazit: es gab das eine oder andere attraktive Spiel und Teams wie Brasilien oder Holland haben noch nicht mal gespielt. Minuspunkt sicher die Vuvuzelas, die nerven schon ziemlich. Allerdings fände ich ein Verbot dann doch etwas gar krass, so einmischen sollte sich die FIFA nicht in die südafrikanische Fankultur. 


Tja und husch zurück zum Titel. Ich hab das Spiel der Deutschen gestern beim ZDF geschaut, so wirklich warm bin ich mit den SF2-Kommentatoren bislang noch nicht geworden. Und im Wissen dass der Beni Turnheer am Mittwoch den Spanien - Schweiz Match nicht macht, wird dieses Verhältnnis zum Leutschenbach auch nicht gerade einfacher. Nun eben, ZDF. Die Katrin Müller-Hohenstein und der Oliver Kahn unterhalten vor und nach dem Spiel ihr Publikum. Und auch Reporter Béla Rethy gibt während dem Spiel alles. Kein Wunder, bei 4 Toren! In der Halbzeit fällt mir dann aber der folgende Satz  auf: „Das ist für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass der heute hier trifft.“ Ein Reichsparteitag? Reichsparteitage beziehe ich auf die Veranstaltungen, bei denen Adolf Hitlers NSDAP ab etwa 1933 ihre hetzerische Propaganda im grossen Stil ausbreitete. Also durchaus ein Wort das in meinen Augen mit Fussball nicht wirklich etwas zu tun hat. Als dann Oli Kahn noch von "Mannschaftshygiene", der Reporter von "alles über rechts", dem "blitzartigen Angriff" und vom "Bomber" sprachen und eben dieser Bomber Müller nach seinem Tor noch eine, sagen wir mal, spezielle Jubelpose einnahm... ja, in dem Moment konnte ich mir ein diskretes Kopfschütteln nicht mehr verkneifen.

Nochmal, ich mag die Deutschen, erst recht ihren Fussball oder ihre Medien. Ich will darum jetzt auch wirklich nicht auf irgendwelchen Versprechern herumreiten oder Korinthen kacken, schliesslich ist niemand perfekt und Fehler können im Stress passieren. Aber der mit dem "Reichsparteitag", ich weiss nicht recht. Auch wenn man bei einer Live-Sendung vielleicht etwas nervöser oder ob dem Resultate sogar euphorisch ist, sollte man als professionelle TV-Moderatorin gewisse Ausdrücke halt einfach aus dem Sprachrepertoir streichen. Ich erinnere mich da spontan an Eva Hermann, die hatte den Umgang der Nationalsozialisten mit Werten wie Kinder, Mütter, Familien und Zusammenhalt, "als das, was gut war" charakterisiert und wurde vom NDR danach entlassen. Das wünsche ich der Frau Müller-Hohenstein beim besten Willen nicht, ich seh sie nämlich sehr gern beim ZDF und schätze sie als durchaus als sehr kompetente Sportjournalistin. Umso erstaunlicher war es darum für mich, dass sie den Faux-pas ("Die Welt" schreibt von Entgleisung und Fehltritt, die TAZ von einem Nazi-Skandal) nicht einfach korrigiert hat. Eine kurze Erklärung hätte schon gereicht. Ähnliches hat zwar Pro7-Frau Juliane Ziegler auch nichts mehr genutzt, sie hat sich 15 Minuten nach ihrem unglaublichen Satz: „Du musst ein bisschen enthusiastisch sein und ... yeah arbeiten ... Arbeit macht frei.“ zwar entschuldigt, wurde dann aber trotzdem vom Sender entfernt. Allerdings finde ich auch nicht, dass man eine nächtliche Gameshow bei den Privaten mit einem WM-Spiel beim ZDF vergleichen sollte.

Besonders zynisch und zum Teil auch heftig waren die Reaktionen auf den Reichsparteitag von KMH gestern Abend vorallem bei Twitter. Da dauerte es nicht lange und es gab einen offenen Brief, den man ans ZDF schicken und eine Entschuldigung fordern konnte. Naja, so weit muss es ja dann auch nicht gehen. Es wurde diskutiert, was von der Kommentierung Katrin Müller-Hohensteins in der Halbzeitpause zu halten sei: "Hurra, die deutsche Wochenschau berichtet live aus den deutschen Kolonien in Afrika." Ein anderer bangte angesichts der rhetorischen Geschmacklosigkeit: "Demnächst spielen die Gegner noch bis zur Vergasung bei Bombenwetter.“ Oder: "Es ist wieder so weit, seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen." Schliesslich hat sich am späten Abend auch das ZDF noch online gemeldet: "Es war eine sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause. Wir haben mit Frau Müller-Hohenstein gsprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht mehr vorkommen," schreibt Sportchef Dieter Gruschwitz. Thema also eigentlich erledigt, nur eine Frage bleibt offen: was zur Hölle ist eigentlich ein "innerer Reichsparteitag"?

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

sehr treffend geschrieben, ein sorry wäre das mindeste gewesen.

bebbi bs

Steph hat gesagt…

Hahaha, viel Wind um nichts!

Mirja hat gesagt…

"Es ist mir ein Volksfest, ironische Verstärkung der Wendung ›Es ist mir ein Vergnügen‹, ›Es ist mir angenehm‹, ›Es freut mich sehr‹; ebenso: ›Es ist mir ein innerer Reichsparteitag‹ oder ›Es ist mir ein innerer Vorbeimarsch‹, mit parodistischer Beziehung auf die bombastischen Reichsparteitage der Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren aufgekommen." (Röhrich, L. der sprichwörtlichen Redensarten, Bd. 5, S. 1682)

Heinz-Peter Heilmann hat gesagt…

Genau, viel Lärm um Nichts... Hat sich halt versprochen.

Bin mal gespannt, welchen Vernichtungskrieg die Protagonisten der Political-Correctness noch gegen die Moderatorin führen werden.

Monsieur Fischer hat gesagt…

@ mirja & hr. heilmann: wie gesagt, ich verurteile die frau kmh deswegen ja auch nicht. ich hab von der redensart einfach noch nie was gehört und finde sie etwas unpassend dem miro gegenüber. es gibt auch andere bekannte sprüche aus dem alltag, die man evtl privat benutzt aber nicht im tv... bei uns in der schweiz ist zb der "gestampfte jud" durchaus geläufig - ein fleischerzeugnis aus der armeeküche - oder "vergasen" wenn jemand furzt, aber niemand würde das je bei einer tv reportage sagen! gibt halt so no-go's.